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THEATER IST EIN SARKOPHAG – ein abgeschotteter Ort, an dem sich zwei Prozent der Bevölkerung gegenseitig bespaßen. Starverstrahlt. Kritikkontaminiert. Krisengeplagt. Totgesagt. Selbstverliebt. Theater ist ein Sperrgebiet, ein havariertes kastriertes Kraftwerk, eine Kunstwerk-Gedenkstätte, die wie unter einem aus Beton gegossenen Sarkophag begraben liegt. Ein Apparat in Angststarre, in dem man sich bloß noch mit Schutzkleidung bewegen kann: Schauspielausbildung, Theaterwissenschaftsstudium, Bildungskanon, Kunstdiplom, staatlich anerkannte Legitimationen, die Rüstzeug heißen und wie eine Rüstung um einen liegen; in seiner Trennung von der Welt verfällt der Leidensbeauftragte selbst in immer größere Authentizitätspanik. SCHAUSPIELER SPIELEN DAS LEID. DIE KRANKEN SPIELEN DIE LUST. EUER OBERSTES GEBOT IST: LACHEN IST PFLICHT! Ihr, denen beim Bad im Drachenblut ein Eichenblatt zwischen die Schulterblätter gefallen ist – Ihr stellt für das Theater mehr dar als eine Bereicherung, mehr als eine Anreicherung des ausgebluteten Apparates: Diese Frischblutkur wollen wir nicht als Blutkonserven durch die erkrankten Theaterorgane pumpen, indem wir Euch Euer Leben auf der Bühne konserviert wiedergeben lassen – Euch als Experten, Funktionsträger oder schräge Typen Wirklichkeiten liefern lassen. Auch wenn wir fürchten, ihr könntet uns entlarven – (nein, stellt uns in den Schatten, zerrt uns aus dem Licht:) IHR MÜSST UNS VON UNSEREM AUTHENTIZITÄTSWAHN ERLÖSEN, (UND VOM ZWANG IM ZENTRUM SEIN ZU MÜSSEN) INDEM IHR SCHLICHT DRAUFLOS SPIELT! Das Spiel ins Theater zurücktragt (wie) den heiligen Gral, Ihr, als Erlöser, als Parzival, das wilde, witzige, tollpatschige großspurige, unkalkulierte, mutige unversicherte, unversierte zweckfreie, das befreite, das befreiende Spiel! Für euch und mit euch WOLLEN WIR AUF DEN SARKOPHAG EINSCHLAGEN – (ihn spalten mit einer Satzaxt) ihn aufbrechen mit Sprechstangen, in ihn eindringen mit Spielliebe. Theater ist kein Sarkophag, Dogma 11 Gründungsmanifest von ENDER/KOLOSKO 2011, Kampnagel Hamburg ![]() Skizze: ENDER/KOLOSKO
aus: Vortrag bei der Jahreskonferenz der Dramaturgischen Gesellschaft 2012 zum Thema „Hirn, Geld, Klima – Theater und Forschung“ |